Puristisches Design auf Sardinien: Gonzalez Haase Architekten gestalten Luxusstore

22.11.2021 | Design, Interview

Die Berliner Architekten Judith Haase und Pierre Jorge Gonzalez denken Storegestaltung eher unkonventionell aber immer mit starkem Bewusstsein für die Marke. Das Zusammenspiel von Licht und Architektur ist der Ausgangspunkt ihrer Entwürfe. Ebenso beeinflussen die Erfahrungen aus dem Umgang mit Kunst und Künstlern aus einer frühen Arbeit am Watermill Center in New York ihre Konzepte bis heute. Für den italienischen High Fashion Retailer Modes wurde erst kürzlich ein Store im italienischen Porto Cervo realisiert. Kontrastierend zur lebendigen und farbenfrohen Umgebung der Promenade du Port entwickelten die Architekten eine eher kühle und reduzierte Raum- und Lichtgestaltung. Neutrale graue Oberflächen auf Böden, Wänden und Decken bekommen Lichtreflexe durch Vorhänge aus Metallfasern. Blöcke mit verschiedenen Metalloberflächen und kräftigen Farbflächen erzeugen eine galerieartige Atmosphäre für die Warenpräsentation.

Das Interior Design der 315 Store-Quadratmeter stellt sozusagen eine Umkehrung der sonnigen Szenerie des sardischen Hafens dar und ist typisch für den ästhetisch kreativen Ansatz der Architekten.

Warum sich Storegestaltung gerade stark verändert und wie wichtig eine gestalterische Unabhängigkeit gegenüber Marke und Projekt ist, erläutern Judith Haase (JH) und Pierre Jorge Gonzalez (PJG) im Gespräch mit Design Lodge.

Gonzalez HaaseWie würdet Ihr Eure Handschrift und Herangehensweise an Projekte beschreiben?

JH: Unsere Handschrift liegt zum einen in unserem unkonventionellen Umgang mit Details und zum anderen in der Lichtgestaltung. An jedes Projekt gehen wir anders heran, mit neuem Input und neuer Inspiration. Für uns ist besonders der Ort wichtig, an dem sich das Projekt befindet, die Umgebung, die bestehende Architektur und die Bauherren. Raumnutzung und Funktion sind die Basis für jeden Entwurf.

PJG: Was manche als Design-Signatur bezeichnen, ist eher ein Prozess, den wir definiert haben. Unsere Arbeit beginnt immer mit dem bestehenden Gebäude, die Analyse des Gebäudes ist dabei immer gleich. Die unterschiedlichen Gestaltungen beziehen sich also nicht auf das Dekor, wie es in dieser Branche oft üblich ist, sondern basieren auf den Grundsätzen der Gebäudehülle und dessen Kontext.

Im Retail gilt ja der Grundsatz, die Sprache der Marke im Raum umzusetzen. Wie wichtig ist die Brand Identity für Euch?

JH: Wir sind keine Werbeagentur und wir arbeiten nicht mit einem grafischen Ansatz. Für uns sind die Auftraggeber wichtig, die späteren Kunden und die Nutzung des Raums.

„Die Marke auf ein einziges Bild festzulegen, macht sie unglaubwürdig.“

PJG: Marken setzen sich aus mehreren Bestandteilen zusammen. Eine Marke ist nicht nur ein Bild, sondern ein Komplex aus vielen Komponenten. Die verantwortlichen Designer sind die ersten, die eine Marke prägen, die Kommunikationsverantwortlichen ein weiterer Bestandteil, die Räume und die Architektur ein dritter. Je mehr eine Marke heute auf ein einziges Bild festgelegt ist, zum Beispiel auf eine Farbe wie orange, desto schlechter und unglaubwürdiger erscheint sie. Die Identität ist also vielschichtig, sie funktioniert und vereint mehrere Talente.

Sind CI-Farben und Markenstory für Euch handlungsleitend bei der Entwicklung von Storekonzepten?

PJG: Wie gesagt, es wäre schlecht, ausschließlich diesen ästhetischen Leitlinien zu folgen. Konzeptionell muss man sich mit der künstlerischen Direktion abstimmen, aber eine eigene Vision haben. Jeder Designpart hat eine Form von Unabhängigkeit gegenüber dem Projekt.

Im Retail wird viel vom multifunktionalen Raum gesprochen, der die virtuelle Welt mit dem stationären Store verbindet. Wie denkt Ihr darüber?

JH: Für uns ist der reale Raum die Basis und er kann ein starkes Kommunikationsmittel sein. Das Licht, die Materialien und die Akustik sind wichtig, um die Produkte zu präsentieren und einen Rahmen zu schaffen. Die Kunden erleben unsere Räume wie eine Kunstinstallation, die inspiriert und bereichert.

PJG: Es gibt viele Versuche beides miteinander zu verbinden, virtuelle und physische Welt. Es funktioniert selten. Die Projekte sind oft nur temporär und werden schnell vergessen. Es ist ein bisschen so wie in großen Kinos, wo der Ton überall um einen herum ist, die Bilder in einer erstaunlichen 3D-Technologie, die aber nichts Interessantes über das physische Erlebnis hinaus zeigen kann. Wir denken vielmehr an den physischen Raum als Veranstaltungsort, an dem es um das eigentliche Produkt oder Kunstwerk geht, und an dem die Menschen einander begegnen können.

Müssen Stores nach Corona und boomendem Onlinehandel mehr können als früher? Was hat sich signifikant verändert?

JH: Wir spüren diese Veränderung nicht, im Gegenteil. Seit dem letzten Sommer bekommen wir viele Anfragen für neue Läden. Die Leute freuen sich darauf, wieder auszugehen, sich zu treffen. Einkaufen ist Kommunikation unter Gleichgesinnten.

Wir beobachten die Zunahme des Austauschs zwischen Mode, Musik und Kunst. In den Geschäften finden Veranstaltungen und Performances statt, die einen großen sozialen Aspekt schaffen. Die Nutzung ist oft flexibel und es besteht ein größerer Bedarf an Flexibilität und Anpassungsfähigkeit. Daher sind die Veranstaltungen und manchmal auch die gesellschaftlichen Zusammenkünfte ein Instrument der Inspiration und Kommunikation. Ein soziales Event, das online auf diese Weise nicht erlebt werden kann.

„Die Entwicklung physischer Geschäfte kann man nicht vorhersagen.“ 

PJG: Der Markt verlagert sich immer mehr zum Online-Shopping. Was vor ein paar Jahren noch ein Problem war, z.B. dass Kleidung nicht anprobiert werden konnte, ist heute fast gelöst, indem man mehr bestellt und einfach zurückschickt, was nicht passt.

Physische Geschäfte müssen die Menschen zusammenbringen, indem sie alle Arten von Veranstaltungen organisieren und die Gemeinschaft in den Mittelpunkt rücken.

Es gibt keine Möglichkeit, die Entwicklung und den Bestand physischer Geschäfte vorherzusagen. Wahrscheinlich wird sich nach einiger Zeit eine Art Gleichgewicht zwischen beiden Formen des Einkaufs einstellen. Vielleicht wird es weniger physische Läden geben, dafür aber größere, solche, die nicht im Stadtzentrum liegen, aber monatliche Veranstaltungen realisieren. Die Pandemie hat diesen Prozess nur beschleunigt.

Was inspiriert Euch?

JH: Am meisten inspiriert uns die zeitgenössische Kunst. Aber auch neue Materialien und Menschen um uns herum. Besonders die junge Generation mit ihrer Energie und ihren Ideen und dem Fokus aufs Klima. Während unserer Arbeit sind wir immer in Kontakt mit Menschen, die gerade neue Konzepte entwickeln, um unseren Planeten besser zu schützen. Klimakrise, Pandemien, Artensterben und Naturkatastrophen stellen uns bei der nachhaltigen Projektentwicklungen vor enorme Herausforderungen.

PJG: Menschen und Kunst.

Vielen Dank für das Gespräch!

www.gonzalezhaase.com

Fotos: Sonja Gutschera/Leif Henrik Osthoff (Portrait)
DSL Studio di Delfino Sisto Legnani
Melania Dalle Grave e Agnese Bedini (Store)
BU Portrait: Judith Haase und Pierre Jorge Gonzalez

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