Berlin: Stilwerk eröffnet in den Kant Garagen

19.10.2022 | Corporate Architecture, Kunst

Wiedereröffnung des Stilwerks in einer Berliner Kultimmobilie: den Kant Garagen in Charlottenburg. Wo fast 90 Jahre lang bis zu 300 Autos parken konnten, startete offiziell Anfang Oktober ein radikaler Nutzungswandel. Werkstatt, eiserne Tore und Abgase werden von Design, Kunst und Interior abgelöst. Und doch bleibt die DNA des 1930 als Hochgarage im Stil der Neuen Sachlichkeit der Weimarer Republik erbauten Architektur erhalten.

Weiß getünchte Wände, die original gläserne Hängefassade und alte Werkstatt-Beschriftungen direkt auf das Mauerwerk gepinselt – alles bleibt und ist doch irgendwie neu. 9.500 denkmalgeschützte Quadratmeter auf fünf Etagen wandeln sich vom ehemaligen „Kant Garagen Palast“ zum Design-Mekka ohne dass Grundriss und Architektur verändert wurden. Ermöglichte die doppelgängige Rampe einst eine gleichzeitige Ein- und Ausfahrt in die Garagenetagen, dient die Doppelhelix nun als ellipsenförmiger „Art Walk“ durch das Gebäude und führt auf die Geschosse. Darin liegt auch das Konzept des neuen Stilwerks: Die klassische Mall-Architektur, strukturiert durch räumlich abgetrennte Showrooms, wird von ineinander fließenden Brand-Spaces abgelöst. „Wir setzen auf Kooperation statt Konkurrenz und begeben uns bewusst in einen Prozess der Evolution mit den Mietern, um die Idee der Plattform weiterzuentwickeln,“ erklärt Tatjana Groß, Geschäftsführerin Stilwerk Management GmbH, „die Ehrwürdigkeit des Gebäudes soll respektiert werden und macht eben auch einen neuen Diskurs in der Flächengestaltung möglich und notwendig.“

Ehrwürdigkeit des Gebäudes respektieren

Kunst und kleine individuelle Marken spielen dabei eine große Rolle. Sie stehen für lokale Verbundenheit, geben den innovativen Kick. Mit Tebton und Authentic Kitchen konnten bereits zwei Berliner Unikate gewonnen werden – produziert wird in der Stadt bzw. im nahen Umland. Neben der Kollaboration mit der Online Galerie Meet Frida, die mit Positionen zum Thema Raum und Räumlichkeiten vertreten sind, ist Singulart bereits Mieter einer Fläche geworden. Die auf den internationalen Onlinehandel spezialisierte Artgallery wagt damit den Schritt in den stationären Handel und will das Segment Designermöbel ausbauen. Mit BoConcept, Zimmer & Rode und Karl Hansen gingen die ersten Big Player an Board. Weitere sollen in den nächsten Monaten folgen, hier stehe man bereits im Vertragsabschluss, betont Center Manager Jörn Friedrichsen. „Es war ein bisschen wie die berühmte OP am offenen Herzen. Wir haben die Immobilie erst zu Ende 2021 übernommen und eine völlig neue Flächenbespielung entwickelt.“ Die Auswirkungen der Corona-Krise mache Entscheidungswege langwieriger, anderseits sei die Offenheit neuen Ideen gegenüber deutlich gestiegen, erläutert Friedrichsen. Der kuratierte Mix auf frei zugänglichen Flächen ist dabei nur ein Aspekt.

Hotel ergänzt die Living-Idee

Ausprobieren und dann kaufen ist eine weitere Säule: Unmittelbar neben dem Garagengebäude auf der Kantstraße befand sich eine Freifläche, auf der nun ein zum Stilwerk gehörendes Hotel mit 61 Zimmern entstanden ist. Verantwortet hat es das Berliner Architekturbüro Nalbach & Nalbach. Die Rezeption befindet sich in der Antrittshalle der Kant Garagen und verbindet so Verkaufsfläche mit Hotelfoyer.

„Die Marken sind im Hotel sichtbar,“ so Tatjana Groß, “alle Zimmer sind mit Möbeln, Accessoires und Textilien unserer Partner im Haus ausgestattet. Das klassische Probeliegen wird so zum Test in Echtzeit. Wer ein paar Nächte im Bett schläft oder den Stuhl nutzt, bekommt einen anderen Eindruck. Das geplante Brandbook liefert die ersten Informationen und ist Wegweiser zur Marke im Haus.“

Späti und Brandenburger Obst

Das Soft Opening hat bereits im August begonnen, freut sich Hoteldirektorin Jessica Schöndorf. Puristisch mit zurückgenommen Farben sind die Zimmer ein ideales Setting für besondere Einzelstücke: ob der tannengrüne Wegner Wishbone Chair, die bunten Wohn-Accessoires aus pulverbeschichtetem Metall von Tebton oder bronzierte Leuchten von Vitra. Einige Zimmer haben gläserne Erker-Boxen, um das urbane Treiben auf der Kantstraße zu beobachten, andere ermöglichen durch große Fenster der Blick über die Dächer Charlottenburgs. „Orangensaft wird man auf dem Frühstücksbüffet vergeblich suchen. Denn die werden nicht in Brandenburg angebaut,“ erklärt Schöndorf. Von dort beziehe das Hotel den größten Teil der Lebensmittel – die Apfel- und Birnensäfte seien übrigens besonders köstlich, versichert sie. Auch in Sachen Kosmetik geht es um Nachhaltigkeit, hier wird auf das dänische Label Meraki gesetzt.

Eine Berliner Eigenheit wird zur Attitüde: Im Erdgeschoss ist neben Gastronomie und Ausstellungsfläche auch ein Design-Späti geplant – angelehnt an den kioskähnlichen Spätkauf in den Kiezen der Hauptstadt. Die 5. Etage dient als Eventfläche und wurde bereits vom Pariser Luxushaus Hermès sowie vom Technikanbieter Sharp angemietet. Ach ja, den passenden Sound zum historischen Standort bietet die alle paar Minuten wenige Meter hinter dem Gebäude vorbei ratternde S-Bahn. Ditte tut se schon seit über hundert Jahren.

Historie der Kant Garagen

Die Kant Garagen wurden 1930 von den Architekten Lohmüller Korschelt & Renker in Zusammenarbeit mit Hermann Zweigenthal alias Herrey und Richard Paulick im Auftrag des jüdischen Ingenieurs Louis Serlin im Stil der neuen Sachlichkeit erbaut; bedeutsame Merkmale, die noch heute erhalten sind, waren und sind die Doppelhelix, die „Heinrichsboxen“ genannten Garagenplätze mit ihren weltweit einzigartigen Schiebetüren der Bauart Paul Heinrichs sowie die Vorhangfassade aus Glas auf der Rückseite des Gebäudes. Eine wechselvolle Geschichte aus Krieg, Enteignung und Entschädigung prägt die Kant Garagen, die auf wundersame Weise während der Bombardierung nahezu unversehrt blieben. Mit Unterbrechung in den Kriegsjahren wurde die Hochgarage bis 2017 als Autogarage mit integrierter Tankstelle genutzt. Die Geschichte dieses einzigartigen Beispiels der Bauhaus-Baukultur und des Automobilismus wird Stilwerk mit entsprechenden Ausstellungen würdigen; des Weiteren sind historische Merkmale bei der Renovierung im Sinne des Denkmalschutzes weitgehend erhalten geblieben.

Fotos: Kent Schluchtmann, Stilwerk

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