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Wie aus Beton-Tristesse, zerbrochenen Träumen und jeder Menge Leidenschaft tatsächlich ein Neuanfang werden kann, erzählt Jacques Audiard in seinem aktuellen Film „Wo in Paris die Sonne aufgeht“ und beeindruckt mit intensiven Bildern und mutigen Figuren.

Jacques Audiard

Regisseur Jacques Audiard zeigt sich erneut als Meister des amoralischen Erzählens.

Das triste Setting konterkariert geradezu den verheißungsvollen Titel „Wo in Paris die Sonne aufgeht“. Jacques Audiard hat seinen neuen Film in den Wohntürmen des 13. Arrondissement in Paris angesiedelt. Grauer Beton wächst in den Himmel, Fenster in seelenlosen Fassaden geben Einblicke in trostlose Wohnungen. In einer davon wohnt Émilie (Lucie Zhang) mit ihren wechselnden Untermietern. Camille (Makita Samba), ein junger Lehrer an einem Lycée in der Nachbarschaft, wird nicht nur ihr Mitbewohner, sondern auch zur Liebesaffäre ohne Liebe.

„Les Olympiades“ – so der Originaltitel des Filmes, basiert auf Geschichten des amerikanischen Comiczeichners Adrien Tomine. Um das Graphik Novell-Ambiente erlebbar zu machen, ist der Film in schwarz/weiß gedreht. Camille, nicht interessiert an einer festen Beziehung, verlässt alsbald die Wohnung, wird seines Jobs als Lehrer überdrüssig und stolpert in eine vorrübergehende Tätigkeit als Makler. Hier begegnet ihm Nora (Noémie Merlant), die in Paris ihr Jurastudium wieder aufgenommen hat. Noras besticht durch einen Mix aus Aufrichtigkeit, Naivität und Geschäftssinn. Durch eine Verwechslung mit einem Camgirl sieht sie sich während einer Vorlesung an der Sorbonne einem demütigenden Shitstorm ausgeliefert. Sie gibt das Studium auf und nimmt Kontakt zu dem selbstbewussten lasziven Camgirl Amber Sweet auf. Mit leisen Bildern wird eine beginnende virtuelle Freundschaft zwischen den beiden Frauen skizziert, in der Nora nahbar und zerbrechlich wirkt. Wäre da nicht noch die funkensprühende Affäre mit Camille. Mittlerweile hat Nora nicht nur in dem Maklerbüro angeheuert, sondern auch geschäftstüchtig die Führung übernommen. So brillant und verschmelzend die Szenen sind, in denen die drei Hauptdarsteller sich jeweils dem Körper des anderen hingeben, so unerzählt bleiben die Beziehungen zwischen ihnen. Camille oszilliert zwischen seinem Maklerdasein, dem Frust eines unterbezahlten Lehrers und einer Familie aus Vater, Schwester und ohne Mutter. Nirgendwo verankert, haltsuchend in der Affäre mit Nora. Émilie tanzt durch diverse Jobs und besticht durch völlige Empathielosigkeit. Die Besuche bei der an Alzheimer erkrankten Großmutter überlässt sie gegen Mietnachlass der Mitbewohnerin.

„Sicher werden alle Figuren Enttäuschungen erfahren, denn sie haben sich etwas vorgemacht.“ Jacques Audiard

Während der Dreharbeiten habe man sich sehr viel Zeit zum Kennenlernen genommen, erklärt der bei der Premiere in Berlin anwesende Makita Samba. Genau darin liegt die Offenbarung des Films: Die besondere Vertrautheit der Protagonisten, deren Tiefe sich für die Zuschauer wegen fehlender Erzählungen über die Entwicklung der Beziehungen nicht erschließt. Eine Choreografin hat dabei geholfen, die intimen Szenen so authentisch, intensiv und ästhetisch zu spielen – darin, so erklärt Makita Samba sei eben auch die jeweilige Beziehung ablesbar. Der Film wurde während der Corona-Pandemie gedreht, als sich das Leben hinter geschlossenen Türen und mit minimaler Begegnung abspielte. Getragen von der Hoffnung, dass es bald ein glückliches Ende nimmt und alles wieder so heiter wird, wie es mal war. Dieser reale Zustand des Nichtsichtbarseins und des Hoffens auf ein Happy End schwingt mit und wird subtil verwebt.

„Das ganze Team hat zusammengearbeitet. Ein bisschen wie eine Theatergruppe,“ Noémie Merlant

Ganz gegen alle Erwartungen entwickelt sich das Ende: Nora wartet nervös auf einer Parkbank auf die reale Amber. Ein Zusammentreffen, was fast wortlos in einer fulminanten The-Very-First-Kiss-Szene gipfelt. Etwa zeitgleich steht Émilie in elegantem Kleid mit einem Blumenstrauß in der Hand wartend im Flur ihrer Wohnung, als es plötzlich klingelt. Es ist die Stimme von Camille, die aus der Gegensprechanlage zu hören ist. Émilie ist erlöst, braucht sie doch nicht allein auf die Beerdigung ihrer Großmutter zu gehen. Vielmehr noch: Camille lässt – hollywoodgleich – eine Liebesschwur im Flur erschallen, bevor die Tür ins Schloss fällt. Es könnte auch ihr Hochzeitstag sein.
Die Tristesse der Bilder und das durch den Alltag purzelnde Leben von Émilie, Nora und Camille fügt sich schlussendlich wie durch Wunderhand zu überraschend glücklichen Schlussszenen.

Jacques Audiard ist es gelungen, einer entgrenzten virtuellen Welt echtes Gefühl entgegenzusetzen und fehlende Empathie als andere Seite der Liebe zu entlarven. Wie genau sich die Figuren dahin entwickelt haben, scheint unerheblich. Und das ist dann wieder reale Welt, in der es gerade immer schwieriger wird, Entwicklungs- und Entscheidungswege nachzuvollziehen. Was bleibt ist der feste Glaube daran, dass am Ende alles einen Sinn ergibt. (nh)

„Wo in Paris die Sonne aufgeht“, Frankreich 2021, Kinostart: 07.04.2022, Regie: Jacques Audiard, Buch: Cèline Scimma, Léa Mysius, Jacques Audiard; Kamera: Paul Guilhaume A.F.C., mit Lucie Zhang, Noémie Merlant, Makita Samba; Verleih: Neue Visionen, 106 Minuten, FSK ab 16.

Fotos: © Neue Visionen Filmverleih

Schlagwörter: Berlin | Beton | Film | Liebe | Paris | Premiere
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